Sozial-ökologische Konversion

  1. Begriffsdefinitionen und Typologie
  2. Praxisbeispiele
  3. Konversion und Corona

Begriffsdefinitionen und Typologie

Der Begriff Konversion leitet sich ab vom lateinischen Wort conversio für „Umkehrung, Umwandlung, Übertritt“. Im Laufe der Geschichte hat sich der Bedeutungsgehalt gewandelt und auf immer mehr Bereiche ausgedehnt. Deswegen gibt es zurzeit kein einheitliches und von der breiten Allgemeinheit getragenes Begriffsverständnis. Am geläufigsten ist der Konversionsbegriff im religiösen bzw. weltanschaulichen Bereich. Dort meint er insbesondere den Übertritt eines Menschen von einer Glaubensgemeinschaft in eine andere. Im betrieblich-industriellen und im politischen Kontext wird er häufig im Sinne einer zivilen Nachnutzung vormaliger Rüstungsbetriebe und militärisch genutzter Flächen verstanden. Im Rahmen unserer Forschung hat sich ebenfalls gezeigt, dass der in der Transformationsforschung gebrauchte Konversionsbegriff von vielen Gewerkschafter*innen und Arbeitnehmer*innen noch mit „Rüstungskonversion“ in Verbindung gebracht wird und daher teilweise höchst ambivalente Assoziationen auslöst.

Der Konversionsbegriff ist im CON-LABOUR Projekt eingebunden in den größeren Gesamtzusammenhang der sozial-ökologischen Transformation des bislang noch vom Auto dominierten Mobilitäts- und Verkehrssystems. Dort bezieht er sich auf die betriebliche Dimension der Transformation. „Konversion“ eines Unternehmens beschreibt demnach einen Prozess der möglichst vollständigen Restrukturierung seines Geschäftsmodells, in unserem sektoralen Kontext also weg vom Auto und Individualverkehr und hin zum ÖPNV und anderen sozialökologischeren Produkten und Dienstleistungen.

Aus unternehmenspolitischer Perspektive lassen sich insgesamt sechs Entwicklungsstrategien mit transformativem Potenzial voneinander unterscheiden, wobei in der Realität häufig eine Kombination aus mehreren Transformationsypen und eine graduelle Veränderung zu beobachten ist:

  1. die Konversion,
  2. die (sozial-ökologische oder ökologische) Modernisierung,
  3. die Abwicklung einer Produktlinie,
  4. die Diversifizierung des bestehenden Geschäftsmodells,
  5. Unternehmensbeteiligungen und -kooperationen sowie
  6. von Anfang an sozial-ökologisch und nachhaltig ausgerichtete Neugründungen, Ausgründungen oder Unternehmensfusionen.

Produktionsumstellungen erfolgen dabei nicht zwangsläufig bewusst und nachhaltig mit einem abgestimmten strategischen Gesamtkonzept. Neben dieser so genannten „Konversion durch Design“ gibt es auch die „Konversion durch Desaster“, also eine eher zufällige, im Falle von Krisen wie der Corona-Pandemie allerdings oft nur temporäre Umstellung.

Verfahren, welche das umfangreiche Know-how und die zentrale, wertschöpfende Rolle der Beschäftigten am besten integrieren, sind darüber hinaus demokratisch-partizipativ gestaltet. Auch die Einbindung von gesellschaftlichen Gruppen und potenziellen Vetoplayern wie z. B. Kund*innen, Vertretungen von Arbeitnehmer*innen, Umweltverbänden und Politik ist denkbar und erstrebenswert.

Ergänzend zu den sechs betrieblichen Formen der Transformation lassen sich weitere Transformationskanäle auf gesellschaftlich-kultureller und politischer Ebene definieren. Sie umfassen sinnvolle Innovationen, Anreize, Regeln und kollektive Verhaltensänderungen. Dort ist beispielsweise eine gesellschaftliche Nutzenmaximierung zentral, indem das Mobilitätssystem stärker dienstleistungsorientiert ausgerichtet wird und gute Alternativen zum klassischen Modell des Individualverkehrs mit Auto in Privateigentum schafft. Das können Sharing-Modelle sein ebenso wie intelligente Verzahnungen von ÖPNV, Rad (und Auto). Ebenfalls ist an ein umweltfreundliches Mobilitätsmanagement durch innovative Raumplanung, institutionelle Änderungen und politische Umsteuerung zu denken, das den Bedarf für automobile Individualmobilität und den Wunsch danach signifikant reduziert. Beispiele sind der Ausbau des ÖPNV und Radwegenetzes oder sozial-ökologische Änderungen der Subventions- und Steuerpolitik.

Praxisbeispiele

Der Lucas Plan – der Versuch einer partizipativ-demokratischen Konversion
Beschäftigte von Lucas Aerospace, einem Rüstungsunternehmen in Großbritannien, legten in den 70er Jahren einen Plan vor, das Unternehmen auf die Entwicklung von innovativen und gesellschaftlich sinnvollen Produkten umzustellen. In nur einem Jahr entwickelten sie 150 Prototypen in den Kategorien: medizinische Apparate, alternative Energiequellen, Transportsysteme, Bremssysteme, maritime Anlagen und telechirurgische Geräte. Jedoch scheiterte das Projekt am Widerstand der Gewerkschaften und der Regierung.


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Bahnfahren mit Ökostrom als Vorreiter
Die Bahn ist als Teil des ÖPNV zentraler Bestandteil einer sozial-ökologischen Verkehrswende. Seit Einführung des Bahnverkehrs im 19. Jahrhundert gab es bereits mehrere ökologische Konversions-, Modernisierungs- und Diversifizierungsschritte. Fuhren zunächst nur Dampflokomotiven, kamen später Elektroloks hinzu. Seit der Abwicklung des Dampfantriebs gibt es nunmehr elektrische und dieselelektrische Lokomotiven, die die Strecken zur Güter- und Personenbeförderung befahren. Zurzeit wird in Österreich die Elektrifizierung weiter vorangetrieben und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sukzessive auf 100% Ökostrom umgestellt. Das trifft trotz der langfristigen Abnahmeverpflichtung für neuen Kohlestrom auch auf die Deutsche Bahn zu. Mitunter bietet zurzeit aber nicht jede Streckenelektrifizierung ein ökologisches Plus, wenn man beispielsweise Verkehrsaufkommen, Flächennutzung und Ressourcen zur Elektrifizierung berücksichtigt. Zentral für eine Verkehrswende ist die weitestgehende (Rück-)Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene.

Automobile Antriebskonversion
Die konventionellen, mit fossilen Treibstoffen betriebenen Otto- und Dieselmotoren sind keinesfalls alternativlos. Der Elektromotor mit Antriebsbatterie ist die wohl bekannteste klimafreundliche Alternative, insbesondere dann, wenn man Strom aus regenerativen Energiequellen mutzt. Allerdings sind die sozialen und ökologischen Folgekosten der Batterieproduktion und der Lade-Infrastruktur zu berücksichtigen. Wasserstoff ermöglicht ebenfalls ökologischere Antriebstechnologien, wobei dessen Herstellungsbedingungen für Wirkungsgrad und Ökobilanz entscheidend sind. Unabhängig von dessen Herstellung liegt der Wirkungsgrad eines Autos mit Wasserstoffantriebstechnologie zurzeit deutlich unter demjenigen eines reinen Elektroautos. Außerdem ist der viel höhere Preis für eine schnelle Verbreitung abträglich. Eine Option besteht darin, einen Verbrennungsmotor mit Wasserstoff zu betreiben. Der Wirkungsgrad liegt dabei zwischen demjenigen konventioneller Benzin- und Dieselmotoren. Insoweit böte diese Option dem Dieselverfahren und den in diesem Bereich Beschäftigten eine umweltfreundlichere Zukunft mit Wasserstoff als Treibstoff. Bei der zweiten Wasserstoff-Option wird mittels einer Brennstoffzelle Strom erzeugt, der einen Elektromotor antreibt.

Volvos Transformation in eine automobile Zukunft
Der Elektromotor mischt die Automobilbranche auf. Der schwedische Automobilhersteller Volvo, der mittlerweile zu einem chinesischen Autokonzern gehört, ergriff als eines der ersten Unternehmen die Chance, den eigenen Umbau schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt proaktiv in die Wege zu leiten. Diese privatwirtschaftlich getriebene Form der ökologischen Transformation ist eingebettet in eine langfristige Strategie, sich bis 2040 als nachhaltiger und klimaneutral produzierender Autohersteller neu aufzustellen. Ab 2019/20 möchte Volvo voll und ganz auf Modelle mit Elektro- oder Hybridmotor setzen und die Entwicklung von Dieselmotoren aufgeben. Damit adressiert der Konzern insoweit zunehmende Anforderungen klimabewegter gesellschaftlicher und politischer Kreise. Der sukzessive Umbau soll helfen, neue Wachstumsmärkte zu erschließen und langfristig wettbewerbsfähiger zu sein. Dadurch können viele Arbeits- und Ausbildungsplätze gesichert werden. Alles in allem unterwirft sich jedoch auch Volvo der kapitalistischen Wachstumslogik und dem Mantra des Individualverkehrs.

Toyota und Hyundai: Diversifizierung mit Wasserstoffautos
Seit etwa 2014 produziert der japanische Toyota-Konzern Brennstoffzellenautos in nennenswerter Stückzahl in Serie, bisher etwa 10.000 Stück. Technisch ist das Modell „Mirai“ (dt. Zukunft) ein Hybrid, der von einem Elektromotor angetrieben wird, dessen Batterie während der Fahrt mit Hilfe einer Brennstoffzelle nachgeladen werden kann. Der südkoreanische Hersteller Hyundai verfolgt mit seinem Modell eine ähnliche Diversifizierungsstrategie.

Lippenstifte zu Patronenhülsen
Während des zweiten Weltkriegs erfolgte in den USA eine rasche Umstellung der Industrie von zivilen Produkten auf militärische Güter und Flugzeuge. Es ist ein Beispiel für Konverison durch Desaster, aber die Aufnahmen verdeutlichen die Möglichkeiten eines heutigen industriellen Umbaus.


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Konversion und Corona

In Zeiten der Corona-Pandemie stellen Unternehmen in der Autoindustrie von heute auf morgen ihre Fabriken um und produzieren, weil staatlich angetrieben, gesellschaftlich notwendige Produkte. Konversion durch Desaster, also eine krisengegetriebene, höchstwahrscheinlich aber nur temporäre Umstellung der Produktpalette von Unternehmen, setzt sich – zumindest kurzfristig – durch.

General Motors und Ford in den USA produzieren Beatmungsgeräte, um eine Überlastung des US-amerikanischen Gesundheitsystems abzufedern. Ebenso in Spanien werden in einem Seat-Werk Beatmunsgeräte hergestellt. Auch in Deutschland produzieren Autozulieferbetriebe in Bayern – auf staatlichen Auftrag hin – Atemschutzmasken. Und in Italien kooperieren Ferrari und Fiat mit dem Gerätehersteller Siare Engineering, um höhere Produktionskapazitäten bei medizinischem Equipment zu erreichen.


Heinz Högelsberger – Für eine sozial-ökologische Wende nach der Corona-Krise (07/2020)

Melanie Pichler – Kein Zurück zur Normalität (04/2020)

Taz – Interview mit Markus Wissen, Autoindustrie in der Coronakrise: Ungewisser Ausgang (04/2020)

#WasWäreWenn – Für einen sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie Webinar der BUNDjugend (06/2020) mit Nora Krenmayr (Con-Labour Projekt) und Luise Bacher (System Change not Climate Change)